Laterales Denken

Tatsächlich sind unsere Ideen im Land der Dichter und Denker oft sehr vorhersehbar. Selbst bei Jungen Menschen, um am Beispiel Klimaerwärmung zu bleiben, ist die Häufigste vorgetragene Idee: Vermeidung von Umweltbelastung durch Verzicht. Echt jetzt - Das Land der Dichter und Denker das Erfindungen wie den Buchdruck, das Automobil, den Fernseher oder die Kernspaltung hervorgebracht hat. Verzicht ist eure Idee?

Wie kommt es, dass manche Menschen kreative Lösungen finden und andere nicht?
Warum denken wir, wie wir denken? Schauen wir uns die Entwicklungen hierzulande mal an:
Unser Denken wurde über viele Jahrhunderte hinweg massiv durch die Kirchen geprägt. Es waren die Dominikaner im 13ten Jahrhundert und etwas später der Jesuiten Orden der im 16ten Jahrhundert Zugang zu Wissen bot und Plattformen für Unterricht schaffte.

Selbstverständlich hatten die Kirchenverantwortlichen dabei ein konkretes Ziel vor Augen: Unterricht und Wissensvermittlung fand nicht selbstlos statt und auch keineswegs mit der Absicht, die Menschen zur Mündigkeit zu bewegen; vielmehr stand die Erziehung im Sinne der Religion im Fokus. Die Bibel als philosophische Grundlage der christlichen Kirchenlehre ist dabei ein Werk, das komplett auf einer Entweder-Oder-Sichtweise fußt: Es gibt ausschließlich Schwarz und Weiß, Gut und Böse, den Pfad der Gerechten und den der Ungerechten. 

Was einst die Klosterschüler vermittelt bekamen und wie wir bis heute über unser Lehrsystem geschult werden, enthält genau diese Art zu denken.

Einerseits hat die Kirche uns als Gesellschaft und uns Menschen über viele Jahrhunderte hinweg gelenkt und geprägt - Die großen religiösen Institutionen haben uns gelehrt, wie wir zu denken haben. Was ist gut, was ist gerecht? Was hingegen ist böse, was ist ungerecht?

Die Bibel als Werte- und Verständnisgrundlage wurde hierbei als zentrales Werkzeug und als Maßstab herangezogen. 

Die Intention dahinter, nämlich ein folgendes Volk – im Optimalfall ohne eigene Meinung, ohne persönliche Denk- und Herangehensweisen – zu schaffen, zeigt sich in vielen Bereichen bis heute. Die Kirche hat ihren Ansatz nicht verfehlt – obgleich uns ihre Macht im Zuge der Säkularisierung und Aufklärung nicht mehr ganz so überdimensional erscheint. Doch in Sachen Denkmodell entfaltet das klerikale System immer noch zweifelsohne seine Wirkung.

Andererseits umgibt uns eine Denkkultur, die durch unser Schulsystem geprägt ist. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Sir Ken Robinson. Der international renommierte Berater in den Bereichen Innovationen, Humanressourcen und Gesellschaftsentwicklung definiert neben den Kirchen vor allem auch die Schulen als maßgebliche Erzieher in den vorangegangenen Jahrhunderten. Im 18. und 19. Jahrhundert – also im Zuge der Industrialisierung – wurden vorrangig Arbeitskräfte benötigt, deren Bildung auf technischem und mathematischem Wissen beruhte. Bei der Qualifizierung ging es darum, richtige Ingenieure und richtige Juristen zu entwickeln. Folglich wurden Stereotype aufgebaut, diese hatten einen bestimmten Wissenshorizont über eine bestimmte Lernmethode zu erreichen. So wurden die Fachkräfte für die bestehenden Aufgaben im Rahmen der Industrialisierung ausgebildet.

Bis heute funktionieren unsere Schulen wie ein Industriebetrieb, sie sind so strukturiert und anberaumt. Es gibt den Gong als Zeitsignal – wie im späten 19. Jahrhundert in der Fabrik. Wir packen Menschen – also Kinder – in Klassengemeinschaften zusammen und die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihnen ist der identische Jahrgang. Es besteht keineswegs Deckungsgleichheit bei den Fähigkeiten und Fertigkeiten, darauf wird auch kein Wert gelegt – stattdessen wird das Datum der Geburt (oder nennen wir es provokativ einmal das Datum der Produktion) als Maßstab herangezogen. Trotz der Unterschiedlichkeit erfahren die Kinder in ihrer Klasse dann Frontalunterreicht und erhalten dabei klare Aussagen darüber, was richtig und was falsch ist. Was ist eine richtige Gedichtargumentation – und was eine falsche. Was ist eine richtige Argumentation – und was eine falsche. Was ist richtig in der Mathematik – und was entsprechend falsch.

Unsere Welt ist in Richtig und Falsch unterteilt und wir beurteilen sie auch so – beinahe mathematisch. Dieses lineare Denken führt dazu, dass wir herrlich unkreativ sind – schließlich ist es nicht im biblischen Sinne, etwas neu zu kombinieren oder aus einer anderen Perspektive an etwas heranzutreten. Unser Denken heutzutage ist binär. Wir bewegen uns im Schema zwischen 1 und 0. Wir tun Dinge immer so, wie wir es seit jeher getan haben. Wir gehen Situationen so an, wie wir es bereits kennen. Es gibt A oder B, aber nichts dazwischen und erst recht nicht darüber hinaus. Dabei ist genau dieser Zwischenraum interessant. Eindimensionales Denken ist unkreativ, hingegen hilft uns laterales Denken als Zugang zu kreativen Lösungen. Erst das Querdenken gibt uns Hilfestellung bei der Ideenfindung.

Obwohl wir inzwischen in einer völlig anderen und neuen Zeit leben, hat sich unser Schulsystem wenig fortentwickelt – und dennoch prägt es nach wie vor unser Denken. Wenn ich aktuell in Unternehmen und Industriebetrieben meine Workshops und Seminare gebe, dann stelle ich immer wieder fest, dass meine Teilnehmer – meist aus Marketingabteilungen oder Personen aus den verschiedenen Managementebenen – ständig versuchen, das Richtige und das Falsche zu identifizieren. Sie ziehen Vergleichswerte heran – was aber genau den Prozess schwierig macht, wenn wir gemeinsam neue Wege gehen wollen. Wenn ich mit diesen Menschen in den Kreativprozess einsteigen will und sie dann in den verschiedenen Workshop-Einheiten immer wieder zum Um-die-Ecke-Denken auffordere, dann kommen sie dabei sehr schnell an ihre Grenzen. Warum? Weil laterales Denken bei ihnen nie gefördert wurde und daher kaum ausgeprägt ist. Genau das aber wäre essenziell für die heutige Zeit.

Den Begriff des lateralen Denkens prägte Dr. Edward de Bono Ende der 1960er Jahre, seither hat er sich vor allem im Rahmen von Kreativitätstechniken und unkonventionellen Denkmethoden etabliert. Laterales Denken beschreibt die Fähigkeit, zu jedem beliebigen Thema systematisch verschiedene Denk- und Wahrnehmungsperspektiven einzunehmen. 

Entstanden ist unser Schulsystem in einer Ära, in der vor allem Arbeiter gebraucht wurden – die auf ihre Arbeitskraft ausgebildet wurden und sich auf ihren Arbeitsablauf konzentrierten. Also Menschen, die wenig denken und im Optimalfall nur das verstehen, was sie in ihrem Arbeitseinsatz effizient macht. 

Arbeiter, Kaufleute und Techniker, die in ihrem direkten Arbeitsumfeld fähig sind zu funktionieren. Sich mit ihrem dem Konstruktionsplan auskennen und ihre Handgriffe daraus ableiten können, - das war mitunter das Ziel der schulischen Ausbildung. 

Heute aber benötigen wir Menschen, die anders denken, die sich konstruktiv einbringen, die ihre Ideen beitragen und den Status Quo kritisch hinterfragen – um so wiederum vorhandene Probleme zu lösen und Schritte in der Sache nach vorne zu machen. 

Das Schulsystem als Geburtsstätte für neue Fachkräfte und jenes Potenzial, das uns auch betriebswirtschaftlich weiterentwickelt, muss daher dringend reformiert werden. Ziel muss es sein, junge Menschen zum lateralen und somit freien Denken zu erziehen. Im Fokus sollte kreatives Denken in Hinblick auf neue Lösungen sein – auch und erst recht im Schulsystem. 

Unsere derzeit noch vorherrschende Denke nach dem Motto „Das haben wir immer schon so gemacht und daher machen wir es auch weiterhin so“ wird von den lateralen Denkern eines Tages überholt werden. Es gibt diesen sehr passenden Ausspruch dazu: 

„Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der das nicht wusste und der hat es einfach gemacht.“ 

Die Denkstruktur Richtig vs. Falsch bringt uns in eine starre Position.

Aufgrund unserer Erziehung verfallen wir zu schnell in eine Situation, in der wir die Meinung vertreten: „Das geht nur so, das muss so sein!“ 

Genau das Gegenteil brauchen wir, wenn wir kreative und effektive Ideen entwickeln wollen.

Dr. Edward de Bono hat das folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Our Problem is not climate change – it’s poor thinking!“

Vertical Farming & Fermentations-Zentren

In meinen Vorträgen über die Zukunft erkläre ich dass wir dank der neuen Technologien insbesondere in der Medizintechnik, immer gesünder leben werden und unser Durchschnittsalter weltweit weit über 100 steigen wird.

Kombiniert mit der wachsenden Weltbevölkerung die Berechnungen zu Folge im Jahr 2064 mit fast 10 Milliarden Menschen ihren Höchststand erreichen wird. Ist es natürlich berechtigt wenn meine Zuhörer Fragen Wovon sollen sich alle die Menschen ernähren? Insbesondere wenn fast 70 % der Weltbevölkerung in Städten leben werden. Wie und wo werden die  Unmengen an Lebensmittel produziert?

Eine Technologie die jetzt schon verfügbar und zur Anwendung kommt ist die Vertikale Landwirtschaft, besser gesagt der vertikale Ackerbau oder auf englisch Vertical Farming. Plenty aus San Francisco ist ein Tech-Startup, das sich dem dem vertical Farming Verschrieben hat. Die Farm des Unternehmens produziert genug, um 360 Hektar typisches Ackerland zu bewirtschaften - und das mit nur einem Hektar vertikaler Landwirtschaft. 

Es scheint ein geeignetes Mittel zu sein, um vor allem in Dicht besiedelten Gebieten diese zu versorgen - und zwar ohne den massiven CO2-Fußabdruck, der durch den Transport von Lebensmitteln von weit entfernten Farmen entsteht. Eine Vertical Farming Farm wie die von Plenty produziert etwa 400 Mal mehr Lebensmittel pro Hektar als die herkömmliche Landwirtschaft und das auf wie eben gesagt auf 1% der Fläche.

Neben der beeindruckenden Lebensmittelproduktion wird die Produktion auch mit Robotern und künstlicher Intelligenz gesteuert.

Was kann KI also für die Landwirtschaft tun? KI wird eingesetzt um den Wasserverbrauch, das Licht und die Temperatur der Umgebung zu überwachen, in der die Pflanzen wachsen. Im Laufe der Zeit lernt die KI, wie sie die Pflanzen schneller und in besserer Qualität anbauen kann, indem sie die Auswirkungen dieser Variablen vergleicht. Dies ist nicht nur gut für die Qualität der Lebensmittel, sondern hilft auch, Ressourcen zu schonen. Vertikales anbauen, KI und Robotik ermöglichen es, dass 99 % weniger Land und 95 % weniger Wasser zum herkömmlichen Ackerbau verbraucht werden.

Die Technologie bedeutet auch, dass neben der deutlich gesteigerten Lebensmittelproduktion, Pflanzen ohne den Einsatz von Pestiziden und ohne das Risiko von extremen Wetterbedingungen produziert werden können. Pflanzen können außerhalb der Saison in der Nähe des Wohnorts angebaut werden, ohne den CO2-Fußabdruck des Transports zu erhöhen. Externe Faktoren, mit denen die traditionelle Landwirtschaft konfrontiert ist, sind entweder nicht mehr relevant oder nicht mehr so nachteilig für die Nahrungsmittelproduktion. 

Das ist das Beste aus beiden Welten: bessere Lebensmittelqualität bei geringerem Ressourcenverbrauch.

Ich glaube, dass die vertikale Landwirtschaft und die Technologie, einige wichtige Vorteile für die Welt hat. Wenn man eine Nation auf dieser Welt sind, die eine begrenzte Lebensmittelsicherheit hat, muss man alles importieren, der Wert der Lebensmittel ist ganz anders als in Ländern mit viel Flächen für Agrarwirtschaft. Die Kosten sind höher, die Qualität schlechter. Vertikaler Landbau sorgt für Unabhängigkeit und Kontrolle.

Als ich vor drei Jahren in meinem Vortrag „Leben 2025 - das bringt uns die Zukunft“ von der Zukunftsvision des Vertical Farmings sprach, schüttelten viele den Kopf.
Das Start-Up Plenty wird bereits 2021 mit seine Produkten in 430 Geschäften in ganz Kalifornien vertreten sein und plant, weitere vertikale Farmen in den USA und im Ausland aufzubauen. 

Die jüngste Investitionsrunde brachte dem Unternehmens 400-Millionen-US Dollar ein und unter den Investoren waren so illustre Namen wie Jeff Bezos von Amazon, Eric Schmidt von Google und der Investitionsfond von SoftBank

Eine weitere Quelle um die Ernährung der Welt zu ermöglichen werden zukünftig Fermantations-Produktionszentren sein.

Hier ist im besonderen das finnische FoodTech-Startup Solar Foods interessant. Es hat ein Verfahren entwickelt, um aus CO2 aus der Luft und Mikroben ein Proteinpulver zu fabrizieren namens „Solein“. Es ähnelt im Aussehen und Geschmack Weizenmehl und kann als Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt werden. Da es einen sehr hohen Eiweißanteil von über 50 Prozent hat, wird es auch als Sojaersatz angesehen bzw. als Alternative zu tierischem oder pflanzlichem Eiweiß.

Ein Nahrungsmittel also, das aus Luft, Bakterien und der Energie der Sonne hergestellt wird. Vom Prinzip her ähnelt die Herstellung dem Bierbrauen oder Weinkeltern. Bodenbakterien werden im Bioreaktor mit CO2 und Stickstoff aus der Luft sowie mit Wasserstoff und Mineralien wie Phosphor und Calcium gefüttert – dann fängt die Mischung zum Gären an. Nach dem Fermentationsprozess kann aus einer immer dicker werdenden Flüssigkeit einen Brei abgeschöpft werden, und der wird dann zu dem proteinhaltigen Pulver getrocknet.

Bereits in diesem Jahr soll die erste Fermentations Fabrik der Welt mit der Produktion beginnen. Ende 2022 geht die Fabrik dann in den Regulärbetrieb und wird Lebensmittel aus CO2 und der Luft herstellen. In der Anlaufphase wird schätzen die Gründer das ihre Anlage fünf Millionen Mahlzeiten pro Jahr herstellen kann.
Bisher haben die Finnen bereits 20 verschiedene Gerichte bzw. Produkte entwickelt, die Solein enthalten.

Mit ihrer Idee entkoppeln die Finnen die Proteinproduktion von der ständig zunehmenden Nutzung von Umweltressourcen. Neben dem Vertical Farming können lokale Fermentations-Fabriken in Regionen der Welt aufgebaut werden, in denen Landwirtschaft nicht ertragreich ist. Auch kann auf diesem Weg neben dem Hunger auf der Welt auch die riesige Flächennutzung zurückgedrängt werden, die derzeit für Weideland und Pflanzenanbau für Tiernahrung genutzt wird. Und natürlich: Das Treibhausgas CO2 wird eingedämmt und kann auf dem Weg der Fermentation auch noch abgebaut und einer neuen Verwendung zugeführt werden.

Mit Vertical Farming und lokalen Fermentations-Fabriken, können in den kommenden Jahrzehnten genug Lebensmittel für alle Menschen auf der Welt verfügbar sein und der Hunger auf der Welt damit gestillt und die Klimabelastung stark reduziert werden.

 

Künstliche Intelligenz und die Arbeit

Land auf land ab finden Veranstaltungen zum Thema Künstliche Intelligenz statt mit Titeln wie z.B. „KI - unterstützt Menschen bei der Lösung globaler Herausforderungen oder „Automatisierung und der “Human Touch”

Solche Titel sind bezeichnend und typisch.

Die Vorstellung, dass KI den Menschen nicht ersetzen, sondern ergänzen wird, ist heute zu einem allgegenwärtigen und bestimmenden Narrativ geworden.

Verdammt ich selbst hab das schon so in meinen Vorträgen erklärt. Warum? Weil es ein beruhigender Gedanke ist. Leider ist er aber auch zutiefst irreführend.
Wenn wir uns effektiv auf die Auswirkungen vorbereiten wollen, die KI in den kommenden Jahren auf die Gesellschaft haben wird, ist es wichtig, dass wir uns in dieser Frage klarer werden.

Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Menschen für eine Zukunftsvision empfänglich sind, in der die KI in erster Linie die menschliche Tätigkeit ergänzt.

Diese Idee lässt uns Menschen nämlich die Kontrolle und an der Spitze der kognitiven Nahrungskette. Sie verlangt von uns keine tiefgreifenden, unbequemen Veränderungen in Bezug auf unseren Platz in der Welt.
KI ist nach dieser Denkweise nur ein weiteres Werkzeug, das wir geschickt erschaffen haben, um unser Leben einfacher zu machen, wie das Rad oder den Verbrennungsmotor.

Aber KI ist nicht nur ein weiteres Werkzeug, und es stehen uns unbequeme Neuorientierungen bevor.

Schach bietet ein anschauliches Beispiel, um damit zu beginnen. Schachspielen galt einmal als Inbegriff menschlicher Intelligenz. 1997, als das IBM-Computerprogramm Deep Blue den Schachweltmeister Garry Kasparov im zweiten Versuch in einem allseits bekannten Duell besiegte, sagte der besiegte noch kurz davor: „Dieses Match ist ein Abwehrkampf der gesamten menschlichen Rasse". Welche Demütigung!

Als Reaktion darauf entstand in den folgenden Jahren das Konzept des Freestyle Chess oder Zentauren-Schach, bei dem Teams aus Mensch und Schachsoftware gegeneinander antreten.

Die Idee hinter dem Zentaurenschach war einfach: Während die beste KI jetzt den besten Menschen im Schach besiegen könnte, würde eine KI und ein Mensch, die zusammenarbeiten (wie ein "Zentaur"), der mächtigste Spieler von allen sein, weil Mensch und Maschine komplementäre Fähigkeiten zum Tragen bringen würden. Es war eine frühe Version des Mythos der Erweiterung.

Und tatsächlich waren gemischte KI/Mensch-Teams eine Zeit lang in der Lage, Computer-Programme beim Schach zu übertreffen. "Zentaurenschach" wurde als Beweis für die Unersetzbarkeit menschlicher Kreativität gepriesen.

Aber im Laufe der Jahre hat sich die maschinelle Intelligenz exponentiell weiter entwickelt und menschliche Schachspieler weit hinter sich gelassen. Heute spricht niemand mehr über Zentaurenschach. Die KI ist der Menschheit in diesem Bereich inzwischen so weit überlegen, dass ein menschlicher Spieler einfach nichts mehr hinzuzufügen hätte.

Schach ist nur ein Brettspiel. Wie sieht es in der realen Welt aus?

Der Mythos der KI als Erweiterung hat sich weit verbreitet. Ein wichtiger Grund dafür:
Der Verlust von Arbeitsplätzen durch Automatisierung ist eine beängstigende Aussicht und sagen wir mal ein sehr heißes Eisen in der Politik.

Unternehmer, Wissenschaftler, Politiker und andere haben viel zu gewinnen, wenn sie daran glauben - und andere davon überzeugen -, dass KI den Menschen in der Arbeitswelt nicht ersetzen, sondern ergänzen wird. Beschäftigung ist eine der grundlegendsten sozialen und politischen Notwendigkeiten in jeder Gesellschaft auf der Welt von heute.

Offen arbeitsplatzvernichtend zu sein, ist daher ein Verlustgeschäft für jede Technologie, jedes Unternehmen und selbstredend für jeden Politiker.

"Es geht nicht darum, dass Maschinen den Menschen ersetzen, sondern dass Maschinen den Menschen ergänzen. Menschen und Maschinen haben unterschiedliche relative Stärken und Schwächen, und es geht um die Kombination dieser beiden, die es ermöglichen wird, unsere Ziele und Prozesse in den kommenden Jahren 10-, 100-fach und darüber hinaus zu skalieren." Sagte neulich ein CEO und fügte hinzu "KI wird Menschen und Maschinen näher zusammenbringen.“ Vor drei Jahren war ich auf einem Kongress auf dem die damalige IBM-Chefin Gina Rometti erklärte „AI - könnte auch ein Akronym für  'augmented Intelligence‘ also ergänzende Intelligenz sein. Weil sie die menschliche Kognition ergänzen würde, anstatt sie zu ersetzen.

Wenn man einen Moment ehrlich darüber nachdenkt, wird klar, dass viele KI-Systeme, die heute gebaut werden, große Teile der menschlichen Arbeitskräfte in der Wirtschaft ersetzen und nicht ergänzen werden.

Das zentrale Versprechen der KI - der Grund, warum wir sie überhaupt erforschen - ist, dass sie in der Lage sein wird, Dinge genauer, billiger und schneller zu erledigen als der Mensch es heute kann. Sobald KI dieses Versprechen einlösen kann, wird es in vielen Bereichen keine praktische oder wirtschaftliche Rechtfertigung mehr für den Einsatz von Menschen geben.

Wenn beispielsweise ein KI-System einen Lkw unter allen Bedingungen nachweislich besser und sicherer fahren kann als ein Mensch -, wird es für Menschen einfach keinen Sinn mehr machen, weiterhin Lkw zu fahren. Tatsächlich wäre es sogar schädlich und verschwenderisch, einen Menschen am Steuer zu haben: Abgesehen von den eingesparten Arbeitskosten fahren KI-Systeme nie zu schnell, lassen sich nie ablenken, fahren nie betrunken und können 24 Stunden am Tag auf der Straße bleiben, ohne schläfrig zu werden.

Die Start-ups und Lkw-Hersteller, die heute selbstfahrende Lkw’s entwickeln, geben es vielleicht nicht öffentlich zu, aber das Ziel ihrer Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen ist es nicht, menschliche Arbeitskräfte zu ergänzen. Es geht darum, sie zu ersetzen. Darin liegt der wahre Wert.

Ähnlich ist es auch in der Radiologie. Die Hauptaufgabe von Radiologen besteht darin, medizinische Bilder auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter Merkmale, wie z. B. Tumore, zu untersuchen. Mustererkennung und Objekterkennung in Bildern ist genau das, was Künstliche Intelligenz hervorragend kann.

KI-Systeme werden den Menschen nicht über Nacht ersetzen, weder in der Radiologie noch in irgendeinem anderen Bereich. Arbeitsabläufe, Organisationsstrukturen und Menschen brauchen Zeit, um sich zu verändern. Die Technologie wird anfangs nicht perfekt sein.
Zu Beginn wird die KI in der Tat eingesetzt werden, um den menschlichen Radiologen zu unterstützen: um eine zweite Meinung einzuholen, oder um eine Vielzahl von Bildern zu sichten und diejenigen zu priorisieren, die eine menschliche Überprüfung verdienen. Und tatsächlich genau das geschieht bereits. Wir sind quasi in der "Zentauren-Schach"-Phase der Radiologie.

Aber spulen wir fünf Jahre vor. Wenn erst einmal unbestritten ist, dass neuronale Netze den menschlichen Radiologen bei der Klassifizierung medizinischer Bilder überlegen sind - über alle Patientengruppen, Versorgungssituationen und Krankheitszustände hinweg -, wird es dann wirklich Sinn machen, weiterhin menschliche Radiologen zu beschäftigen? Insbesondere wenn man bedenkt, dass KI-Systeme in der Lage sein werden, Bilder von Patienten überall auf der Welt sofort und ohne weitere Kosten zu prüfen, und dass diese Systeme sich ständig verbessern werden.

Mit der Zeit wird sich der Spruch von KI-Legende und Turing Preisträger Geoffrey Hinton bewahrheiten: "Wir sollten jetzt aufhören, Radiologen auszubilden. Wenn Sie als Radiologe arbeiten, sind Sie wie Wile E. Coyote in dem Cartoon; Sie sind bereits über dem Rand der Klippe, aber Sie haben noch nicht nach unten geschaut."

Meek meek

Was bedeutet das alles für uns, für die Menschheit?

Eine Zukunft, in der Künstliche Intelligenz die menschliche Tätigkeit eher ersetzt als ergänzt, hat eine Reihe von tiefgreifenden Auswirkungen. Einige davon will ich kurz anreißen, wohl wissend, dass über diese Themen ganze Bücher geschrieben werden können und auch schon geschrieben wurden.

Zunächst einmal wird der Verlust des Arbeitsplatzes für die Menschen sehr schmerzhaft und herabsetzend sein. Dies wird quer durch alle sozialen Schichten, geografischen Regionen und Branchen geschehen. Vom Wachmann bis zum Buchhalter, vom Taxifahrer bis zum Rechtsanwalt, von der Kassiererin bis zum Börsenmakler, vom Gerichtsdolmetscher bis zum Pathologen - überall in der Wirtschaft werden menschliche Arbeitskräfte keine Nachfrage mehr nach ihren Fähigkeiten haben und ihre Aufgaben werden überflüssig, da immer ausgefeiltere KI-Systeme diese Tätigkeiten besser, billiger und schneller ausführen können als Menschen.

Es ist nicht einfach diese Unvermeidbarkeit anzuerkennen.

Die Gesellschaft muss schnell und ideenreich reagieren, um die Auswirkungen dieser Verdrängung von Arbeitsplätzen abzufedern. Sinnvolle Investitionen in die Umschulung und Umqualifizierung durch den Staat und die Privatwirtschaft werden wichtig sein.

Noch grundlegender ist ein Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie die Gesellschaft die Ressourcenverteilung konzipiert, in einer Welt, in der materielle Güter und Dienstleistungen dank der Automatisierung immer billiger verfügbar sein werden, während die Nachfrage nach entlohnter menschlicher Arbeit immer knapper wird.

Die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens - übrigens Mitte der 90er Jahre als Ulmer Model an der Uni Ulm entwickelt wurde - und bis vor kurzem eher ein Gedankenexperiment von Akademikern war - wird inzwischen auch von etablierten politischen Entscheidungsträgern ernst genommen.
Letztes Jahr hat die spanische Regierung das größte Grundeinkommensprogramm der Geschichte gestartet.
Ich denke, dass das Bedingungslose Grundeinkommen in der Ära der KI ein normales und zunehmend wichtiges politisches Instrument wird.

Eine wichtige Erkenntnis über den Verlust von Arbeitsplätzen durch KI ist, dass einige Tätigkeiten der Automatisierung viel länger standhalten werden als andere. Die Jobs, in denen Menschen auf absehbare Zeit Maschinen überlegen sein werden, sind nicht unbedingt die kognitiv komplexesten.

Vielmehr werden es solche sein, bei denen unsere Menschlichkeit selbst eine wesentliche Rolle spielt.

Dazu gehören vor allem Aufgaben, die Einfühlungsvermögen, Kameradschaft, soziale Interaktion, Tätigkeiten, die die „menschliche Note" beinhalten.
Babysitter, Krankenschwestern, Therapeuten, Lehrer, Barkeeper und Sozialarbeiter werden noch viele Jahre lang Arbeit finden.

Ebenso werden Menschen in Rollen, die kreativität und unkonventionelles Denken erfordern, in absehbarer Zeit nicht ersetzt werden. Ein klischeehaftes, aber aufschlussreiches Sprichwort über die Beziehung zwischen Mensch und KI lautet: Während die KI immer besser darin wird, die richtigen Antworten zu kennen, wird die wichtigste Aufgabe des Menschen darin bestehen, zu wissen, welche Fragen er stellen muss. Zu den Rollen, die diese Art von Einfallsreichtum erfordern, gehören zum Beispiel akademische Forscher, Unternehmer, Technikern, Künstlern und Schriftstellern.

In den Jobs, die im Laufe der Jahre übrig bleiben, werden die Menschen dann weniger Energie für langweilige, wiederholbare, seelenlose Aufgaben aufwenden, sondern mehr für die Entwicklung menschlicher Beziehungen, das Management zwischenmenschlicher Dynamik und kreatives Denken.

Aber täuschen Sie sich nicht: Ein größerer, tiefgreifenderer Wandel steht der Menschheit bevor, wenn die KI mehr und mehr Aufgaben übernimmt, die heute von den Menschen getragen werden. Um es einfach auszudrücken: Wir werden irgendwann in eine Welt nach der Arbeit gelangen.

Es wird nicht annähernd genug sinnvolle Jobs geben, um jeden Menschen im erwerbsfähigen Alter zu beschäftigen. Noch radikaler: Wir werden keine Menschen mehr brauchen, die arbeiten, um den materiellen Wohlstand zu erwirtschaften, der für den gesunden Lebensunterhalt aller notwendig ist. Die KI wird eine Ära des Wohlstands einläuten. Sie wird die wertschöpfenden Tätigkeiten, die der Mensch heute ausführt, automatisieren (und dramatisch verbessern); sie wird uns beispielsweise in die Lage versetzen, Nahrung, Unterkunft und Medizin in großem Umfang und zu geringen Kosten synthetisch herzustellen.

Dies ist eine verblüffende, fast unbegreifliche Vision der Zukunft. Sie wird von uns verlangen, dass wir unsere Wertvorstellungen und den Sinn unseres Lebens neu konzipieren.

Heute wird das Leben eines Erwachsenen weitgehend dadurch definiert, welche Ressourcen wir haben und wie wir diese Ressourcen anhäufen - mit anderen Worten: durch Arbeit und Geld. Wenn wir diese Zwänge lockern, was wird dann unser Leben ausfüllen?

Keiner weiß, wie diese Zukunft genau aussehen wird, aber hier sind einige mögliche Perspektiven:
Mehr Freizeit. Mehr Zeit um in die Familie zu investieren und um sinnvolle persönliche Beziehungen zu entwickeln.

Mehr Zeit für Hobbys, die uns Freude bereiten, sei es Lesen, Fliegenfischen oder Fotografieren.

Mehr geistigen Freiraum, um kreativ und produktiv um seiner selbst willen zu sein: in der Kunst, beim Schreiben, in der Musik, beim Filmemachen, im Journalismus.

Mehr Zeit, um unserer angeborenen Neugier auf der Welt nachzugehen und unser Verständnis für die großen Geheimnisse des Lebens zu vertiefen, vom Atom bis zum Universum.

Mehr Kapazität für den grundlegenden menschlichen Impuls zu erforschen: die Erde, die Meere, die Sterne.

Der KI-gesteuerte Übergang zu einer Welt nach der Arbeit wird die kommenden Jahrzehnte brauchen. Er wird disruptiv und schmerzhaft sein.
Er wird von uns verlangen, unsere Gesellschaft und uns selbst komplett neu zu erfinden.

Aber letztendlich wird es das Großartigste sein, was der Menschheit je widerfahren ist.

Kann China AI?

China boomt seit Jahrzehnten. Das Land hat nicht nur die extreme Armut in nur 30 Jahren von 88 Prozent auf unter 2 Prozent gesenkt, sondernist auch zur Weltfabrik für Hochtechnologie geworden.

Das Wachstumstempo verlangsamt sich aufgrund der alternden Bevölkerung zwar ein wenig, aber China ist dennoch in vielen technologischen Bereichen einer der größten Akteure der Welt.

Einer dieser Bereiche, und vielleicht der bedeutendste, ist die Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Die chinesische Regierung kündigte 2017 an, bis 2030 zum Weltmarktführer im Bereich der künstlichen Intelligenz aufzusteigen, und hat seitdem Milliarden von Euro in KI-Projekte in -Forschung und Wirtschaft gesteckt.

Der Risikokapitalfonds der Regierung investiert über 30 Milliarden Euro in KI. Allein die nordöstliche Stadt Tianjin hat 16 Milliarden Euro für die Förderung von KI eingeplant und in Peking wird derzeit ein KI-Forschungspark im Wert von 2 Milliarden Euro gebaut.

Zusätzlich zu diesen enormen Investitionen haben die Regierung und Unternehmen in China Zugriff auf eine noch nie dagewesene Menge an Daten, von der Gesundheit der Bürger bis hin zu ihrer Smartphone-Nutzung.

WeChat, eine MultifunktionsApp, mit der man chatten kann, sich verabredet, navigiert, Geld transferiert, Fahrten bestellt, Nachrichten liest und vieles mehr, gewährt der kommunistischen Partei vollen Zugriff auf die Nutzerdaten.
Allein durch WeChat ist die kommunistische Partei in der Lage von so ziemlich jedem im Land, ob Bürger oder Ausländer zu Besuch, Verhaltensprofile zu erstellen. Und das ist nur eine (wenn auch sehr große) Quelle von Daten auf die der Staat zugreifen kann. Hinzu kommen Millionen von Überwachungskameras und ähnliches.

Viele glauben, dass dieser Datenreichtum China zur KI-Großmacht werden lassen wird, vor den USA und Europa.

Aber zu KI gehört mehr als Daten, und zum Fortschritt gehört mehr als nur die Investition von Milliarden von Dollar. Analysiert man Chinas Potenzial, weltweit führend in der KI zu werden - oder in jeder anderen Technologie, die konsequente Innovation erfordert - aus verschiedenen Blickwinkeln, ergibt sich ein ernüchterndes Bild.

In meiner letztjährigen Recherchereise durch China besuchte ich Großunternehmen und StartUps in Peking, Shanghai und Shenzen (dem Silicon Valley China’s) auf der Suche nach Techinnovationen. Um es in einem Wort zu sagen: Fehlanzeige.
Ich war massiv enttäuscht was die Innovationskraft anging. Mit der einzigen Ausnahme des Drohnenherstellers DJI sah ich nichts, was ich nicht sonst wo auf der Welt schon zuvor gesehen hatte. Auf der Frage nach dem Warum, wurde mir klar, dass China ein systemisches Problem hat, das herausragende Innovation bis heute verhindert und vermutlich immer verhindern wird.

Zunächst einmal muss man aber wissen wie Innovationen entstehen.

Viele großartige Erfindungen sind zufällig entstanden, und einige der erfolgreichsten Unternehmen der Welt begannen in Garagen, Studentenwohnheimen oder unter ähnlich unauffälligen Umständen (darunter Google, Facebook, Amazon und Apple, um nur einige zu nennen). Innovation entstehen durch Serendipitität (Glücksfall) und wie ich in meinem Buch Kill your agency (Haufe, 2015) beschreibe, durch die Neukombinierung bestehender Fakten/Begebenheiten. Wenn Wissenschaftler/innen an Universitäten durch die ihnen vom Grundgesetz garantierte Freiheit der Forschung und Lehre (GG Artikel 5) mit Erfinder/innen und Unternehmer/innen interagieren und Ideen austauschen passiert Großes.

Wenn man China beobachtet sieht man über welch riesige Menge an intelligenten Menschen dieses Land verfügt und kann schnell zum Schluss kommen, dass bei so viel Potential es ein leichtes sein muss Innovationen zu entwickeln.

Guckt man auf seine Tech- und Innovationskraft, stellt man aber ernüchtert fest, dass China in der Vergangenheit auf Technologien aufgebaut hat, die anderswo entwickelt wurden, aber noch keine Erfolgsbilanz in Sachen Innovation vorweisen kann.

Die Oxford-Stipendiaten Carl Benedikt Frey und Michael Osborne gingen der selben Beobachtung nach und stellten in ihrer im Juni 2020 im Magazin Foreign Affairs veröffentlichten Studie fest, dass von den 100 meistzitierten Patenten von 2003 bis heute keines aus China stammt!

Die Techgiganten Tencent, Alibaba und Baidu sind alle sehr erfolgreich auf dem chinesischen Markt, aber sie haben ihre Wurzeln in Technologien oder Geschäftsmodellen, die aus den USA stammen und für die chinesische Bevölkerung angepasst wurden.

Das ist kein Versuch die Techunternehmen und deren Erfolg zu schmälern, aber oftmals tappen Chinareisende wie ich und andere Berichterstatter in die Falle, das Aufholtempo und die unvergleichbar große Marktgröße Chinas mit Innovationskraft zu verwechseln.
In anderen Worten es ist technisch keine große Herausforderung einen Zug von Peking nach Shanghai auf einer kerzengerade, eigens dafür erbauten Trasse mit Tempo 350 fahren zu lassen und dann pünktlich anzukommen.
Hingegen ist es eine fast unglaubliche Meisterleistung einen ICE zwischen Hamburg und Stuttgart pünktlich ankommen zu lassen, wenn sich dieser gleichzeitig die Trasse mit über eintausend S-Bahnen, Güterverkehrszügen, Regionalbahnen und selbstredend Sitzblockade-Demonstranten, die für den Erhalt des Juchtenkäfers demonstrieren, teilen muss.

Die wichtigste Aufgabe der kommunistischen Partei ist es das riesige Land mit seinen 22 Provinzen und 1,4 Milliarden Einwohnern geeint zu halten. Und das geht nur mit harter Hand oder wie mir mein Chinesischer Reiseführer Bruce Lee (er hieß wirklich so) erklärte, wenn man mit einer Kindergartengruppe einen Ausflug macht, müssen alle eng, mit strenger Hand, geführt werden, sonst bricht Chaos aus. Das mag aus Chinas Geschichte betrachtet richtig sein, aber aus der Innovationsforschung wissen wir, dass die innovativsten Gesellschaften immer diejenigen waren, die es den Menschen erlaubten, kontroverse Ideen zu verfolgen. Chinas strenge Zensur des Internets und die Überwachung der Bürger fördern nicht gerade die Verfolgung kontroverser Ideen. Das Social-Credit-System des Landes belohnt Menschen, die sich an die Regeln halten und bestraft diejenigen, die aus der Reihe tanzen.

Es ist fast unmöglich, dass eine Kultur des sozialen Konformismus sich positiv auf technologische Innovationen auswirken kann.
Ein Beispiel wo der Konformismus schief ging ist die Sowjetunion, die trotz hoher Investitionen in Wissenschaft und Technologie, kurzzeitig mit den USA in Bereichen wie Atomenergie und Weltraumforschung konkurrierte, am Ende vor allem aber aufgrund politischer und kultureller Faktoren sowie dem Mangel an echtem Wettbewerb, aber weit zurückblieb.

Chinas großer Kapital-, Daten-, und Talentvorteil ist gar nicht so vorteilhaft, wenn seine Denkgrenzen einschränkend sind und um das System zu erhalten auch eingeschränkt bleiben müssen.

Auch wenn jetzt Milliarden in das Bildungssystem gesteckt werden und die Schüler auf Informatik gedrillt werden – die Erkenntnis bleibt - die besten Studenten sind nicht unbedingt die besten Forscher.
Um ein guter Forscher zu sein, muss man bestehendes Hinterfragen und auch mit neuen Ideen aufwarten können.

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wer wahrscheinlich die Führung im Bereich der KI übernehmen wird, könnte es hilfreich sein, sich zunächst zu überlegen, wie sich die Technologie über ihren aktuellen Stand hinaus weiterentwickeln wird.

Um es deutlich zu sagen: KI steckt im Moment etwas fest. Algorithmen und neuronale Netze vollbringen immer wieder neue und beeindruckende Leistungen - wie DeepMinds AlphaFold, das Proteinstrukturen präzise vorhersagt, oder OpenAIs GPT-3, das Blog-Artikel auf der Grundlage kurzer Eingabeaufforderungen schreibt. Größtenteils sind die Fähigkeiten dieser Systeme aber immer noch als schwache Intelligenz definiert: die Erledigung einer bestimmten Aufgabe, für die das System mühsam anhand von Unmengen von Daten trainiert wurde.

(An dieser Stelle sei angemerkt, dass einige spekuliert haben, dass GPT-3 von OpenAI eine Ausnahme sein könnte, das erste Beispiel für maschinelle Intelligenz, das zwar nicht "allgemein" ist, aber die Definition von "schwach" übertroffen hat; der Algorithmus wurde darauf trainiert, Text zu schreiben, war aber schließlich in der Lage, zwischen Sprachen zu übersetzen, Code zu schreiben, Bilder automatisch zu vervollständigen, Mathematik zu betreiben und andere sprachbezogene Aufgaben auszuführen, für die er nicht speziell trainiert wurde. Alle Fähigkeiten von GPT-3 beschränken sich jedoch auf Fähigkeiten, die es im Bereich der Sprache erlernt hat, egal ob gesprochen, geschrieben oder in einer Programmiersprache).

Sowohl der Erfolg von AlphaFold als auch der von GPT-3 war größtenteils auf die riesigen Datensätze zurückzuführen, auf denen sie trainiert wurden; es waren keine revolutionären neuen Trainingsmethoden oder Architekturen beteiligt. Wenn alles, was nötig wäre, um die KI voranzubringen, eine Fortsetzung oder Skalierung dieses Paradigmas wäre - mehr Eingabedaten ergeben eine höhere Leistungsfähigkeit -, dann könnte China durchaus einen Vorteil haben.

Aber eine der größten Hürden, die KI überwinden muss, um sich in großen Sprüngen und nicht in kleinen Schritten zu entwickeln, ist genau diese Abhängigkeit von umfangreichen, aufgabenspezifischen Daten.

Während Chinas Datenschatz dem Land jetzt einen Vorteil verschafft, ist er auf dem Weg zur KI-Dominanz nicht unbedingt von Vorteil. Die vielen Daten sind nützlich für die heutige Entwicklung von relevanten Produkten, aber nicht, um die Entwicklung von künstlich intelligenten Systemen voranzutreiben. WeChat-Daten über die Ausgabegewohnheiten der Nutzer sind zum Beispiel wertvoll, um eine KI zu entwickeln, die Menschen beim Sparen hilft oder ihnen Artikel vorschlägt, die sie vielleicht kaufen möchten. Das führt bereits und wird in Zukunft noch mehr zu hochgradig maßgeschneiderten Produkten führen, die ihren Erfindern und den Unternehmen, die sie verkaufen, viel Geld einbringen werden.

Aber die Datenmenge ist nicht das, was die KI voranbringen wird. Wie Frey und Osborne es ausdrücken: "Dateneffizienz ist der heilige Gral für weitere Fortschritte in der künstlichen Intelligenz."

Zu diesem Zweck arbeiten Forschungsteams in der akademischen Welt und in der Privatwirtschaft an Möglichkeiten, KI weniger datenhungrig zu machen. Neue Trainingsmethoden wie One-Shot-Learning und Less-than-One-Shot-Learning sind bereits aufgetaucht, zusammen mit unzähligen Bemühungen, KI so zu gestalten, dass sie mehr wie das menschliche Gehirn lernt.

Obwohl diese Fortschritte nicht unbedeutend sind, fallen sie immer noch in die Kategorie "Babyschritte". Niemand weiß, wie sich die KI über diese kleinen Schritte hinaus weiterentwickeln wird - und diese Ungewissheit ist nach Ansicht von Frey und Osborne ein großer Bremsklotz auf Chinas schnellem Weg zur KI-Dominanz.

Jenseits der Frage, ob China die Vorherrschaft in der KI erlangen wird, ist die Frage, wie es die mächtige Technologie nutzen wird. Einige der Methoden, mit denen China bereits KI einsetzt, könnten als moralisch fragwürdig angesehen werden, von Gesichtserkennungssystemen, die aggressiv gegen ethnische Minderheiten eingesetzt werden, bis hin zu intelligenten AR-Brillen für Polizisten, die Informationen über jeden abrufen können, den der Träger anschaut.

Das soll nicht heißen, dass wir in Europa oder in den USA Künstliche Intelligenz für rein ethische Zwecke einsetzen. Das Projekt Maven des US Militärs zum Beispiel nutzte künstlich intelligente Algorithmen, um Ziele von Aufständischen im Irak und in Syrien zu identifizieren.

Sollte ein Land oder eine Region die Führung in KI übernehmen, wird es sicherlich einige große Vorteile daraus ziehen.

Während derzeit China bei den Investitionen und Europa und die USA bei der Entwicklung von KI führend sind, haben alle mit enormen wirtschaftlichen Ungleichheiten zu kämpfen, die sich negativ auf die technologische Akzeptanz auswirken könnten. Die Einstellung gegenüber dem gesellschaftlichen Wandel, der mit KI einhergeht, ist ebenso wichtig wie die Entwicklung der KI selbst.
Die Notwendigkeit einer komplementären Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wird am Ende die größte Herausforderung.

Europa ist meiner Beobachtung nach mit seinen sozial verantwortlichen Marktwirtschaften, seinen freien und durchlässigen Bildungssystemen und seinen staatl. und privatwirtschaftlich finanzierten Forschungsinstituten gut aufgestellt. Europa muss nur anfangen an seine Intelligenz, an seine Unternehmen und an sich selbst zu glauben. An die Kraft unseres freien und fairen Marktes statt sich von staatlich finanzierten Programmen blenden zu lassen.

Quellen:
https://www.foreignaffairs.com/articles/united-states/2020-06-19/china-wont-win-race-ai-dominance